Was erwartet dich auf dieser Seite?
- Trauma-Definition nach Gabor Maté & Peter Levine
- Trauma-Definition im ICD-10, DSM-V & ICD-11
- Verweis auf Studien zu Endometriose und Trauma
- Medizinisches Trauma
- Entwicklungstrauma & Bindungstrauma
- Pränatales Trauma & Geburtstrauma
- Transgenerationales Trauma
- Dissoziation
Was bedeutet eigentlich Trauma?
Trauma-Definition nach Gabor Maté (Arzt und Traumaforscher):
Trauma ist nicht das, was dir passiert ist – es ist das, was in dir passiert ist, als Folge dessen, was dir passiert ist.
- Für Maté ist Trauma vor allem eine Abspaltung von sich selbst, ausgelöst durch schmerzhafte oder unerträgliche Erfahrungen, meist in der Kindheit.
- Trauma bedeutet einen Verlust von Verbindung – zu sich selbst, zu anderen, zur Welt.
- Nicht alle, die Missbrauch erlebt haben, sind traumatisiert – und nicht alle Traumatisierten haben „sichtbare“ Erfahrungen.
- Zentrale Idee: Trauma beeinflusst unser Verhalten, unsere Gesundheit und unser Selbstbild dauerhaft – oft unbewusst.
Trauma-Definition nach Peter Levine (Somatic Experiencing):
Trauma ist nicht das Ereignis selbst, sondern das, was in unserem Nervensystem zurückbleibt.
- Laut Levine entsteht Trauma, wenn unser Nervensystem nach einer überwältigenden Erfahrung nicht in der Lage ist, wieder in einen Zustand der Regulation zurückzufinden.
- Typische Traumata sind nicht nur „große Katastrophen“, sondern auch scheinbar kleine Situationen, bei denen unser Körper seine natürliche Stressreaktion nicht abschließen konnte (z. B. Flucht oder Kampf).
- Körperorientierter Ansatz: Heilung geschieht durch das Wiederherstellen von Sicherheit und Selbstregulation auf körperlicher Ebene.
Trauma-Definition im ICD-10, DSM-V & ICD-11
Bei einem traumatisierenden Ereignis kann es zu einer Überforderung der psychischen Schutzmechanismen kommen. Im Allgemeinen werden als traumatisierend Ereignisse wie schwere Unfälle, Erkrankungen, Naturkatastrophen, aber auch Erfahrungen erheblicher körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt, sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen bezeichnet.
Ein Trauma bedeutet für die Betroffenen eine besonders starke Belastung, die als leidvoll erlebt wurde. Im ICD-10 (International statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) und DSM-V (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen; psychiatrisches Klassifikationssystem in den USA) ist der Begriff enger gefasst.
DSM-V: https://posttraumatische-belastungsstörung.info/ptbs-dsm-5
ICD-10: https://posttraumatische-belastungsstörung.info/ptbs-icd-10
Die amerikanische Psychiaterin Judith Herman war die erste, die den Begriff „komplexe PTBS“ für die auftretenden Störungen durch chronische Traumatisierungen vorgeschlagen hatte. Sie verwendete auch den Begriff „DESNOS“ (Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Speficied). Sie beschrieb, dass chronische Traumatisierungen in der Kindheit zu Veränderungen in den folgenden sechs Funktionsbereichen führen können:
- Regulation von Affekten und Impulsen
- Aufmerksamkeit oder Bewusstsein
- Selbstwahrnehmung
- Beziehung zu anderen
- Somatisierung
- Persönliche Bedeutungssysteme
Am 01.01.2022 wurde das ICD-11 eingeführt, in der erstmals die komplexe PTBS Einzug erhielt. Für das ICD-11 gibt es eine Übergangszeit von mindestens fünf Jahren.
„Die bisherigen PTBS-Symptome wie Flashbacks, Angstträume, Vermeidungsstrategien, Teilnahmslosigkeit und ein ständiges Bedrohungsgefühl wurden erweitert – etwa um das Merkmal der «beeinträchtigte Selbst-Organisation». Wichtige Anzeichen dafür sind überaktive oder gehemmte Gefühlsreaktionen, das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit sowie Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten oder sich anderen nahe zu fühlen.“
https://psylex.de/neue-diagnose-im-icd-11-komplexe-post-traumatische-belastungsstoerung/
Medizinisches Trauma
Medizinisches Trauma ist ein sehr unterschätztes und wenig anerkanntes Thema. Es gibt bisher eine fehlende Anerkennung der psychologischen Folgen und Auswirkungen von medizinischen Behandlungen sowohl bei medizinischen Dienstleistern wie auch auf Seite der Patienten. Medizinische Behandlungen werden häufig in ihrem traumatischen Potential unterschätzt. Viele Grenzüberschreitungen finden statt, die beiden Seiten nicht bewusst sind und nicht ernst genommen werden. Insbesondere auch medizinische Behandlungen in der Kindheit können starke Auswirkungen auf das spätere Leben haben.
Michelle Hall und Scott Hall haben 2016 das erste Fachbuch zum Umgang mit den psychologischen Auswirkungen von medizinischen Traumata geschrieben. Michelle Hall selbst entwickelte eine medizinische PTBS nach einer Entbindung, bei der sie fast gestorben wäre. Die Autoren definieren medizinisches Trauma als ein Trauma, das durch den direkten Kontakt mit dem medizinischen Umfeld entsteht und sich durch eine komplexe Interaktion zwischen dem Patienten, dem medizinischen Personal, dem medizinischen Umfeld und der Diagnose und/oder dem Verfahren entwickelt. Dies kann starke psychologische Auswirkungen haben. Sie betonen, dass medizinisches Trauma sehr individuell ist und die Definition bei den Patienten liegt.
Was macht medizinisches Trauma so besonders? Medizinisches Trauma ist häufig fortdauernd und nicht vorbei, wie beispielsweise ein Verkehrsunfall. Die Gefahr (Erkrankung, Schmerzen) befindet sich im Körper und ist ein ständiger Begleiter. Eine weitergehende medizinische Behandlung ist meist erforderlich und Trigger können somit nicht vermieden werden. Medizinische Verfahren sind von Natur aus invasiv und grenzüberschreitend. Vom Verstand haben wir dem bewusst zugestimmt, doch unser „tierischer“ Körper kann da eine ganz andere Meinung haben. Medizinische Einrichtungen sind i.d.R. kaum traumainformiert. Es gibt wenig Bewusstsein über das traumatisierende Potential von Behandlungen. Die Sensibilität der Kommunikation von Fachkräften spielt eine zentrale Rolle dabei, wie Menschen traumatische medizinische Ereignisse erleben. Menschen mit einer Traumavorgeschichte sind eher gefährdet eine medizinische Versorgung als traumatisch zu erleben.
Buch: "Managing the Psychological Impact of Medical Trauma: A Guide for Mental Health and Health Care Professionals" von Michelle Flaum Hall, Scott E. Hall (2016)
The National Child Traumatic Stress Network: Medical Trauma in Children
Umgang mit den psychologischen Auswirkungen medizinischer Traumata (engl.): Ein Leitfaden
Entwicklungstrauma / Bindungstrauma
Ein Entwicklungstrauma findet über einen langen Zeitraum statt und ist eine schwerwiegende seelische Verletzung, die gravierende Auswirkungen auf den Lebensverlauf hat. Eine Ursache kann z.B. unzureichende Bindung und Fürsorge der Eltern in der Kindheit oder langanhaltender Stress sein. Durch Überlebensstrategien der Psyche (wie z.B. Abspaltung, Dissoziation) können wir weiter machen, wie bisher. Wir funktionieren.
Verzweiflung, Angst, Hilflosigkeit oder Einsamkeit, die dabei entstehen, wären zu groß, um sie zuzulassen und zu ertragen. Traumaüberlebensstrategien überdecken das Gefühl von Wertlosigkeit, Anspannung, Nervosität und die eigene Identitätslosigkeit.
Nicht gewollt gewesen sein, allein gelassen, emotional nicht aufgefangen - all das ist auch Trauma. Vergleiche mit anderen sind kontraproduktiv. Das eigene Erlebte wird damit klein geredet: "Anderen geht es viel schlechter, da bin ich noch gut dran."
Ursachen für ein Entwicklungstrauma können z.B. sehr strenge, gefühlskalte Eltern sein, nicht ernst genommen werden, Eltern mit psychischen Störungen, "das falsche Geschlecht", nicht gewollt sein, häufiges Anschreien, Beschuldigen, Demütigen, Schläge, Missbrauch, Isolation, die Scheidung der Eltern und häufig wechselnde Bezugspersonen oder Wohnorte.
Kinder verfügen über eingeschränkte Möglichkeiten Verletzungen zu verarbeiten, daher kommt es zur Abspaltung. Dissoziierte Anteile bleiben im Unterbewusstsein und auf der Körperebene stecken.
Die Folgen können Symptome sein, wie psychosomatische Probleme (u.a. Schmerzen, Verspannung, Übelkeit), Ängste, Unsicherheit, Grübeln, toxische Scham- und Schuldgefühle, Depressionen, Sucht (u.a. nach Anerkennung, Sex, Drogen) oder ein Schutzpanzer (Körperfett, Verspannung, Leistung, Gefühlskälte) sein.
Pränatales Trauma
Ein pränatales Trauma ist ein Trauma, das ein Kind in der Schwangerschaft erleidet. Vorgeburtliche Erlebnisse, die ein Kind im Mutterleib erfahren hat, werden mit abgespeichert. Die Erinnerungen werden im limbischen System gespeichert und können jederzeit wieder aktiviert werden. Die Amygdala – ein Teil des Systems – arbeitet schon in der fünften Schwangerschaftswoche. Sie ist das Zentrum der Gefühle; insbesondere der Angst.
Heute wissen wir zudem, dass sich der Stress der Mutter in der Schwangerschaft auf das Ungeborene überträgt. Intensive Angstgefühle von der Mutter können übernommen, selbst empfunden und abgespeichert werden. Dies hat Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung des Kindes und auf das spätere Leben als Erwachsener.
Pränatale Traumata können durch viele verschiedene Ereignisse verursacht werden, wie zum Beispiel durch Ablehnung durch die Mutter, einen Abtreibungsversuch, intensive Angst und Stress der Mutter, Schmerz- oder Gewalterfahrung der Mutter, Unfall, Schock, Trauma oder Verlusterlebnis der Mutter, Krankheit, Depression, psychische Krankheit und Trauma der Mutter, Alkohol- und Drogenkonsum (auch starkes Rauchen) der Mutter, Verlust eines Zwillings, Fruchtwasserpunktion, invasive klinische Eingriffe, Blutungen, vorgeburtliche Operationen.
Die Zeit vor der Geburt ist also prägend für die Art und Weise, wie wir hier ankommen. Sofern die Mutter besonderen Belastungen ausgesetzt ist, viel Stress oder starke Emotionen, wie Wut hat, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf das Ungeborene. Auf die Bedrängnis der werdenden Mutter reagiert der Fötus ebenfalls mit Bedrängnis. Dem heranwachsenden Baby bleiben als einzige Möglichkeiten Kontraktion, Rückzug oder Erstarrung. Aus dem Mutterleib wird ein bedrohlicher Ort, aus dem es keinen Ausweg gibt.
Geburtstrauma: Ursachen und Folgen für Mutter und Kind
Die Geburt ist für viele Frauen ein sehr emotionaler und schmerzhafter Prozess. Einige erleben ein sogenanntes Geburtstrauma, das auf die Erfahrungen während der Geburt zurückzuführen ist. Es gibt verschiedene Ursachen während der Geburt, wie zum Beispiel eine schwere komplizierte Geburt, starke Schmerzen, ungenügende Begleitung, Komplikationen, Kaiserschnittgeburt, Einsatz von Medikamenten und Hilfsmitteln.
Nach der Geburt wirken zum Beispiel die Ablehnung durch die Mutter, Trennung von der Mutter (z.B. Brutkasten, Freigabe zur Adoption), ein liebloser Umgang, nachgeburtliche Operationen und Eingriffe traumatisierend. Auch wenn diese Eingriffe medizinisch notwendig waren, wirken sie auf das Kind traumatisierend, weil es nicht verstehen kann, was mit ihm passiert.
Kinder, die an frühem Trauma leiden, bauen in den ersten Lebensmonaten ihren Stress durch anhaltendes Schreien ab. Dadurch verleihen sie ihrer seelischen Not Ausdruck. Das Nervensystem wird durch Stresshormone beeinträchtigt. Das natürliche Bestreben eines Menschen ist es, diesen Stresspegel zu reduzieren. Ein Erwachsener könnte dies durch Sport regulieren, dem Säugling bleibt jedoch vorerst nur das Schreien, um die innere Spannung abzubauen.
Geburtstraumata können sowohl für Mütter, als auch für Kinder schwerwiegend sein. Diese Erfahrung kann Auswirkungen auf die körperliche und emotionale Entwicklung des Kindes haben; das Erlebte kann sich damit auch negativ auf sein späteres Leben auswirken.
Link-Tipps:
Gewalt unter der Geburt - das unsichtbare Trauma
Gewalt in der Medizin: Drahtseilakt Gynäkologie und Geburtshilfe
Transgenerationales Trauma
Das Schweigen brechen – Wunden heilen
Nahezu jeder von uns trägt tief verwurzelte Wunden in sich, die wir häufig nicht einmal richtig benennen können. Diese Wunden sind oft das Ergebnis von Traumata, die unsere Eltern oder Großeltern erfahren haben. Wir sprechen hier von Transgenerationalem Trauma.
Transgenerationale Traumatisierungen können weitergegeben werden. Studien zeigen, dass solche Erlebnisse häufig nicht greifbare Symptome und Emotionen hervorrufen können. Veränderungen in der Epigenetik sind nachweisbar. Das bedeutet, dass unsere Erbanlagen (DNA) von äußeren Faktoren beeinflusst werden können. So kann eine traumatische Erfahrung in der Kindheit oder Jugend sich auf unser gesamtes Leben auswirken – bis hin zur transgenerationalen Weitergabe.
Nicht jeder, der mit Transgenerationalem Trauma lebt, leidet dauerhaft darunter. Die meisten von uns haben Ressourcen und Fähigkeiten entwickelt, um damit umzugehen – Stichwort Resilienz. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, woher der Schmerz kommt – sowohl für den Einzelnen, als auch für uns als Gesellschaft.
weiterführende Links:
Transgenerationale Traumatisierung: Den Teufelskreis durchbrechen
Transgenerationales Trauma: "Das Schlimmste ist das Schweigen"
Transgenerationale Traumatisierung - Aus Wunden werden Narben
Dissoziation
Die Dissoziation, eine sehr häufige Begleiterscheinung der Posttraumatischen Belastungsstörung und der komplexen PTBS, befähigt grundsätzlich dazu, belastende Lebensereignisse zunächst einmal seelisch zu überstehen. Damit erfüllt sie eine überlebenswichtige Schutzfunktion. Das kann z.B. bei Überforderung, extremen Stress, Reizüberflutung oder Unverständnis passieren und kann auch eine Form der Verarbeitung darstellen.
Es gibt verschiedene Formen und Schweregrade der Dissoziation. Dies können Gedächtnisprobleme oder Erinnerungslücken sein, das Gefühl, neben sich zu stehen und noch viel mehr.
Bei einer schweren Dissoziation trennen sich Körper und Geist voneinander. Körperempfindungen (z.B. während eines Traumas) können komplett abgeschnitten werden. Je früher und häufiger so etwas erlebt und als erfolgreich schützend abgespeichert wird, umso eher wird es auch „erlernt“ und automatisiert.
Aus dieser Situation heraushelfen können Aktionen, die die Betroffenen wieder ins Hier und Jetzt führen, wie z.B. Orientierungsfragen, Bewegung, Trinken, Kältereize oder starke Gerüche.